Auszüge aus dem Produktionstagebuch                                 Seite 4/9



23. APRIL 2000

Bei der 30-stündigen Zugfahrt von Minsk nach Archangelsk wurden die zu erwartenden Strapazen im Wodka ertränkt. Mit dem zweitgrößten Hubschrauber der Welt ging die Reise weiter, bis wir schließlich mit 25 Mann und Sack und Pack in einer gottverlassenen Fischerkolchose an der Eisküste landeten.

Trotz Schlitten und Schneemobilen dauerte es immer noch einige weitere Stunden, bis wir endlich unser Ziel, das Set an der Eisküste erreichten. Das Team kam in einer Sammelunterkunft der Kolchose unter, in dessen Kantine man Fischbrei und ähnliches runterwürgen musste. Die Standard-Toiletten sahen so aus: Ein paar Löcher im Boden des Anbaus, durch die der Wind des nahen Eismeers pfiff.

Was das Team am zweiten Tag erleiden musste, läßt sich nur schwer beschreiben. Man muss es einfach erlebt haben. Sich vorzustellen, im klirrenden Winter bei Nacht in ein Freibad zu klettern, eine Windmaschine aufzustellen und dann zu versuchen, unter der laufenden Freibaddusche sein Mittagessen runterzuschlingen, würde es nur annähernd treffen. An der Eisküste kommt hinzu, dass man sich mit der Eisschicht auf dem Anorak kaum mehr bewegen kann. Und speziell in unserem Fall lagen auch noch die zwei einzigen Schneemobile mit Kurzschluss fest. Also weit und breit kein Fahrzeug, das einen zu dem halbwegs geschützten Bretterverschlag hätte bringen können. Trotzdem oder gerade deswegen haben wir an diesem Tag im Regen und Eissturm Bilder von großer Verzweiflung gedreht......

Dann ging es mit Hubschraubern nach Nayan Mar zum Dreh der Tschuktschen-Szenen. Die Provinzhauptstadt liegt nördlich des Polarkreises in einem militärischen Sperrgebiet. Das bedeutete immer wieder Probleme mit dem Hubschrauber-Scouting. Auch die Suche nach der geplanten Rentierherde gestaltete sich als äußerst schwierig. Sie bewegte sich stetig weiter und wir konnten nicht fest mit ihr rechnen. Unsere Scouts fanden sie schließlich 40km in der offenen Tundra. Jetzt erst konnten wir den Hubschrauber für den nächsten Tag beladen, im Gepäck unter anderem ein Neun-Meter-Kran. Das Problem war, dass die Windgeschwindigkeit kaum das Stativ stehen ließ, geschweige denn einen Kran. Und die Wettervorhersage war katastrophal.

Wir konnten aber unmöglich länger warten, denn Irina musste zurück nach USA. Nicht fertig zu werden hätte den finanziellen Supergau bedeutet. Unsere Rettung sollte Irinas Großvater sein, ein echter Schamane vom Baikalsee, in der Rolle des Schamanen. Er beschwor mit uns am Abend zuvor in einer Zeremonie die Wettergötter und opferte dazu Weissfisch vom Baikalsee. Am nächsten Tag ging es um 7.00 los. Wir landeten mit zwei Großraumhubschraubern in der weiten Tundra und stellten bei Windstille und Sonnenschein den Neun-Meter-Kran auf, um die herzzerreißende Abschiedsszene zwischen Irina und Forell vor 1.200 Rentieren zu drehen.

Kaum waren wir zurück, mussten wir unser kakerlakenverseuchtes Hotel verlassen, das wir - ohne Ironie - richtig liebgewonnen hatten. Dort gab es wenigstens warme Duschen! Wir mussten aufbrechen ins Dorf der Tschuktschen, das unsere Szenenbildner bei einer Nenzen- Kolchose aufgebaut hatten. Dort war es endgültig zu Ende mit Hygiene und ähnlichen Fremdworten.

In den nächsten vier bis fünf Tagen wollte jeder nur noch Tag und Nacht arbeiten, um möglichst schnell wieder wegzukommen oder zu- mindest nicht in der "Unterkunft" hausen zu müssen. Die Frauen im Team hörten nach zwei Tagen auf zu trinken, um "Toiletten"-Gänge auf das Nötigste zu beschränken.

Was uns wach hielt, waren die unglaubliche Kulisse und die hervorragenden Komparsen, die in ihren Originalkostümen für eine unbeschreibliche Atmosphäre sorgten. Wir hatten Tagszenen und Nachtszenen und nur 12 Stunden Reserve für "Unvorhergesehenes", das uns dann natürlich prompt am zweiten Tag in Form eines wütenden Schneesturms überraschte. An Drehen war nicht zu denken. Unser Team suchte schützenden Unterschlupf in den Kulissen-Zelten - unsere einzige Aufenthalts-möglichkeit.Dort kauerten wir die halbe Nacht und versuchten uns zu wärmen, unterstützt von dem guten Hausmittelchen Wodka. Ende April dürfen wir wieder zurück in die Zivilisation nach Minsk, das uns noch vor Monaten vorkam, wie die alte Sowjetunion! So haben sich unsere Maßstäbe verändert!


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